Diskussionsthemen

Prekäre Beschäftigungen

Ungeregelte Beschäftigungen / Zeitarbeit, Minijobs u. a.

Zeitarbeit auf Mindestmaß begrenzen

Beratung im Landtag von Sachsen-Anhalt (Vierte Wahlperiode) am 19. Feb. 2010 zum Antrag der Fraktion DIE LINKE (Drs. 5/2422)

 

MdL Edeltraud Rogée, Rede im Landtag von Sachsen-Anhalt 

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Jetzt können Sie sich noch an mir abarbeiten. Ich bin gefragt worden, warum ich dieses Thema erneut zum Thema mache. Hierfür gibt es für mich mindestens zwei Gründe.

Der erste Grund:

Es gibt einen Beschluss des Landtags vom 12. Dezember 2008 mit der Überschrift „Bundesratsinitiative für eine Gleichstellung der Leiharbeit“. So hat es dieses Hohe Haus beschlossen. Die Landesregierung ist unter anderem gebeten worden, sich gegenüber der Bundesregierung für die Prüfung gesetzlicher Regelungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Zeitarbeit einzusetzen.

Hierbei geht es um zwei Punkte, die ich kurz anreißen möchte.

  • Zum einen geht es um gleiche Arbeitsentgelte von Zeitarbeitern und Stammbelegschaft nach einer angemessenen Frist unter Wahrung der Tarifautonomie.
  • Zum anderen geht es um die Begrenzung der Verleihdauer von Zeitarbeitern oder andere geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Substituierung der Stammbelegschaft.

Vielleicht kann der Minister, der hierzu noch sprechen wird, etwas dazu sagen.

Der zweite Grund

geht aus unserem Antrag hervor und bezieht sich auf die Vorgehensweise der Firma Schlecker. Die Vorgehensweise der Firma Schlecker hat gezeigt, wie Leiharbeit als Instrument des Lohndumpings eingesetzt wird. Erschrocken, kritisch und unfähig, das zu glauben, wurde der Vorgang zur Kenntnis genommen. Wieder wurden Beschäftigte unwürdig behandelt.

Was ist passiert?  Bei der Firma Schlecker wurden bun¬desweit sukzessive etwa 1 000 Filialen geschlossen; den Verkäuferinnen wurde gekündigt. Die eigens dafür gegründete Verleihfirma Menia hat ihnen dann angeboten, sie in den neu eröffneten Märkten, die zum Teil in einem nahe gelegenen Straßenzug eröffnet worden sind und unter „Schlecker XL“ firmieren, wieder einzustellen.

 

Bundesweit sind etwa 4 300 Beschäftigte betroffen, die dort für die Hälfte ihres vorherigen Lohns arbeiten, und zwar ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld und bei weniger Urlaubstagen. Inzwischen werden Stundenlöhne von nur 6,50 € gezahlt. Der Tariflohn im Einzelhandel liegt bei 12,70 €.

Das Vorgehen der Firma Schlecker ist leider kein Einzelfall. Leiharbeit wird in vielen Unternehmen mit dem Ziel eingesetzt, die Löhne zu drücken. Ich rede nicht zum ersten Mal darüber.

In Sachsen-Anhalt erhalten 67 % der Leiharbeitnehmer Niedriglöhne. Lohndumping durch Leiharbeit geht auf Kosten der Beschäftigten, der Solidargemeinschaft   das möchte ich zweimal unterstreichen   und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie der Steuereinnahmen des Staates. Frau Bull hat hierzu vorhin bereits Zahlen genannt.

Bereits heute erhält jeder Beschäftigte der Leiharbeitsbranche Aufstockerleistungen nach Hartz IV, weil die Löhne zum Leben nicht reichen. In Sachsen-Anhalt gelten 11,6 %, also etwa 116 000 Erwerbstätige, als armutsgefährdet. Die Volkssolidarität geht in ihrem Sozialbericht von zunehmender Altersarmut aus.

Letztlich wurde in den Nachrichten - ich glaube, es waren die 19-Uhr-Nachrichten   darauf hingewiesen, dass in Sachsen-Anhalt mehr als 60 000 Menschen über 60 Jahre einen Minijob haben und zusätzliches Geld verdienen müssen, weil sie von den Leistungen nicht leben können. Diese Zahlen habe ich mir also nicht ausgedacht.

Die Volkssolidarität schreibt:

Armut wird von Betroffenen nicht nur vom Einkommen abhängig gemacht, dazu gehören der Verzicht auf Gesundheitsleistungen, die begrenzte Teilnahme am kulturellen Leben und der Ausschluss von gesellschaftlicher Mitwirkung. Dies könnte man auch als gesellschaftliche Ausgrenzung bezeichnen.

 

400 000 Menschen in Sachsen-Anhalt benötigen gegenwärtig zusätzliche Leistungen. Wenn im Durchschnitt je 200 € benötigt würden vielleicht sind es nach der Rechnung von Frau Hüskens aber viel mehr, dann sind dies 80 Millionen € im Monat und 960 Millionen € im Jahr. Leider habe ich keine konkreten Zahlen gefunden. Vielleicht kann Herr Minister Haseloff dazu etwas Konkreteres sagen.

Ich finde, das ist eine enorme Summe Geld. Diese könnten unser Land und unsere Kommunen sicherlich gut gebrauchen. Deshalb müsste jeder in diesem Hohen Hause darüber nachdenken, ob eine existenzsichernde Bezahlung zu einem realen Tarif zu einem Sinken der Transferleistungen führen würde. Verringerten sie sich nur um die Hälfte, dann wären dies schon einmal etwa 50 Millionen €. Außerdem würden wieder mehr Mittel in die Sozialkassen und in die Steuerkasse fließen.

 

Leistung muss sich wieder lohnen, das vermitteln uns die Kollegen der FDP ständig.

Auch ich bin dafür. Aber Sie meinen damit Ihre Unternehmerklientel; bei den Arbeitnehmern ist es Ihnen egal. Es ist Ihnen egal, wie die Arbeitnehmer bezahlt werden.

Einerseits klagen die Unternehmerverbände über den ausufernden Sozialstaat, andererseits tragen sie selbst dazu bei.

Es ist leider zur Normalität geworden, dass eine zunehmende Zahl von Unternehmern den Beschäftigten geringere Löhne zahlt mit der Begründung und dem Hinweis, bereits bei der Einstellung, sie könnten sich das Nötigste zur Existenzsicherung vom Amt holen.

In der heutigen Ausgabe der „Mitteldeutschen Zeitung“ ist zu lesen, dass Lidl für die Einführung eines Mindestlohnes im Einzelhandel wirbt, damit Wettbewerbsgleichheit hergestellt wird. Darüber muss man nachdenken. Ich finde, die Wahrnehmung ist richtig, dass die sozialen Verwerfungen immer gravierender werden.

Genau darum geht es. Welche Chancen haben Menschen, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, die aber unendlich flexible Arbeitszeiten haben und auf Abruf bereitstehen müssen? Welche Möglichkeiten haben diese Arbeitnehmer, sich im Verein, in Verbänden oder parlamentarisch einzubringen?

Die Leiharbeit ist nur eine Fassette bei den sieben Millionen Niedriglöhnern. Zum Anstieg der Zeitarbeit trugen insbesondere die Reformen des Arbeitnehmerüberlassungsrechts der letzten Jahre bei. Ursprünglich war die Einführung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes darauf gerichtet, in Unternehmen mit kurzzeitigen Produktionsspitzen zusätzliche Arbeitnehmer zu beschäftigen. Was zur Entlastung des Arbeitslosenmarktes gedacht war, ist zur Belastung für viele Beschäftigte geworden.

In den vergangenen Jahren hat sich die Zeitarbeitsbranche auf dem ersten Arbeitsmarkt etabliert und agiert wie jede andere Branche gewinnorientiert. Das hat zu einer enormen Zunahme von Zeitarbeitnehmern und Lohndumping in fast allen Branchen geführt. Die Gewerkschaften ver.di, NGG und IG Metall haben mehrfach dokumentiert, wie Unternehmen Leiharbeit gezielt zum Lohndumping einsetzen.
 
Lohndumping durch Leiharbeit geht auf Kosten der Stammbelegschaften, der Solidargemeinschaft und der öffentlichen Kassen. Bereits heute müssen viele Zeitarbeitnehmer zur Sicherung des Lebensunterhalts zusätzliche Sozialleistungen in Form von Aufstockerleistungen beantragen. Damit werden die Gewinne der Unternehmen durch den Staat subventioniert.

Die Fraktion DIE LINKE will, dass sich Leistung auch für jeden abhängig Beschäftigten und jede abhängig Beschäftigte wieder lohnt. Seine bzw. ihre Familie soll wieder von seiner bzw. ihrer Hände Arbeit leben können. Auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes würde eine enorme Entlastung der Beschäftigten und des Staates herbeiführen.

 

Stellen Sie mit uns die Situation vom Kopf auf die Füße und unterstützen Sie unsere Forderungen:

Erstens. Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz werden sämtliche Ausnahmeregelungen in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gestrichen. Ab dem ersten Einsatztag erhalten Leiharbeiter für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie die Festangestellten. Ein Tarifvertrag kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn er bessere Bedingungen vorsieht.

Das im Jahr 2003 unter der rot-grünen Bundesregierung geänderte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz hat den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durch die Regelung ersetzt, dass Leiharbeiter schlechter als Festangestellte bezahlt werden dürfen, wenn Leiharbeits¬firmen einen Tarifvertrag abschließen.

In den einschlägigen Tarifverträgen für den Bundesverband Zeitarbeit   Personaldienstleistungen, BZA, sind 13 % Abschlag geregelt. Beim Interessenverband der deutschen Zeitarbeitsunternehmen, IGZ, sind 13,5 % Ab¬schlag vorgesehen. Aber nicht selten erhalten Leiharbeitnehmerinnen zwischen 30 und 50 % weniger Lohn bzw. Gehalt.

Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund, weshalb Zeitarbeitnehmer für die gleiche Arbeitsleistung ein geringeres Entgelt erhalten sollen als Festangestellte.


Zweitens. Die Überlassungshöchstdauer wird im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wieder auf drei Monate begrenzt. Im Jahr 1972 wurde mit der Einführung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eine Überlassungshöchstdauer von drei Monaten zugelassen. Vorher   das möchte ich an dieser Stelle erwähnen   war in Deutschland Zeitarbeit verboten.

Seit Mitte der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts wurde die Überlassungshöchstdauer ständig liberalisiert und im Jahr 2003 ganz aufgehoben. Das hat zu einem Boom in der Zeitarbeitsbranche geführt und zu deren Etablierung auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Allein in dem Zeitraum von 2003 bis Juni 2008 hat sich die Zahl der Leiharbeitnehmer in Sachsen-Anhalt von 15 844 auf 27 846 Beschäftigte erhöht. Infolge der Krise waren es im Jahr 2009 in 1 121 Verleihbetrieben noch 20 557 Beschäftigte. Damit wurde eine Etablierung auf dem ersten Arbeitsmarkt und ein Austausch von Stammbelegschaften durch billigere Zeitarbeitnehmer in vielen Unternehmen möglich. Und der Niedriglohnsektor ist weiter auf dem Vormarsch.

Das will die Fraktion DIE LINKE nicht. Wir wollen, dass die gesetzlichen Regelungen der ursprünglichen Intention von Leiharbeit als Abfederung von Auftragsspitzen wieder gerecht werden. Die durch die Hartz-Gesetze in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingeführte Möglichkeit, einen Dauerarbeitsplatz zeitlich unbefristet mit ein und demselben Leiharbeitnehmer zu besetzen, ebnet der Verdrängung regulärer Beschäftigungsverhältnisse und der Umgehung tariflicher Beschäftigungs- und Entlohnungsregelungen den Weg.


Drittens. Im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes erhalten Betriebsräte im Entleihbetrieb ein zwingendes Mitbestimmungsrecht über den Einsatz von Leiharbeitnehmern. Die betriebliche Mitbestimmung ist ein hohes Gut in der Demokratie. Die Ausgestaltung der eigenen Arbeitsbedingungen, der Unternehmensstrukturen und der Unternehmensentwicklung gibt den Beschäftigten die Motivation, sich aktiv einzubringen.

Das soll auch für die Leiharbeitnehmerinnen gelten. Dazu hat unsere Fraktion in diesem Hohen Haus schon mehrfach gesprochen, und wir werden uns diesem Thema demnächst wieder zuwenden, weil es Bestandteil der Arbeitsbedingungen ist.


Viertens. Zusätzlich wird im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zwingend eine Flexibilitätsprämie vorgeschrieben. Eine Ausweitung oder das Ersetzen der Stammbelegschaft schadet dem Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt. 

Hier können wir auch von Frankreich lernen. Dort gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz uneingeschränkt und die Leiharbeitnehmerinnen haben zusätzlich einen Anspruch auf eine Flexibilisierungsprämie in Höhe von 10 % der Bruttolohnsumme. Dadurch wird die hohe Flexibilität von Leiharbeitnehmerinnen honoriert, was außerdem bewirkt, dass Leiharbeit wieder strikt begrenzt und auf die Abfederung kurzfristiger Personalengpässe zurückgeführt wird.

 

Ich finde schon, dass wir einmal von Frankreich lernen können. Die haben auch schon lange einen Mindestlohn. Aber das wollen Sie ja nicht. Sie schauen immer darüber hinweg.

 

Meine Damen und Herren!

Unterstützen Sie unseren Antrag und fordern Sie die Landesregierung auf, im Bundesrat aktiv zu werden und auch den anderen Antrag, den ich anfänglich angesprochen habe, zu unterstützen und umzusetzen.

 

Frage von Herrn Franke (FDP):

Frau Rogée, ich möchte Sie nur fragen, ob Sie wissen, dass es Manteltarifverträge zwischen dem DGB und der Zeitarbeitsbranche gibt.

 

Frau Rogée (DIE LINKE):

Mit dem Bundesverband; das habe ich eben gesagt. Darin sind die Abschläge von 15 % geregelt. Natürlich weiß ich das.

 

Zeitarbeit auf Mindestmaß begrenzen (Drs. 5/2422)  

 


 

Ausschnitt aus der Rede von Herrn Dr. Haseloff, Minister für Wirtschaft und Arbeit (mit teilweiser Antwort auf die Rede von MDL Edeltraud Rogèe) innerhalb der Beratung im Landtag von Sachsen-Anhalt (Vierte Wahlperiode) am 19. Feb. 2010 zum Antrag der Fraktion DIE LINKE (Drucksache Drs. 5/2422)


 

"Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Um es vorwegzunehmen:

Ich teile die Auffassung der Antragsteller nicht, wenn es darum geht, der Zeitarbeit das Image eines den Arbeitsmarkt aushöhlenden Phänomens zu geben.

Bei all den auch aus meiner Sicht nicht akzeptablen Fehlentwicklungen, die sich aber auch nur auf eine überschaubare Zahl von Unternehmen beschränkten und die mehrheitlich in den 90er-Jahren zu verzeichnen waren, kann ich nicht erkennen, dass die Zeitarbeit in Gänze tatsächlich so verheerend wirkt, wie Sie es darstellen.

... ."


Weitere Anträge der Landtagsfraktion DIE LINKE:


Hartz IV umwandeln in ... Mindestsicherung (DRS. 5/2421 neu) 

Rettungsschirm für die Kommunen (DRS. 5/2430)