Rede zum Weltfriedenstag 2012 am Denkmal der Opfer des Faschismus auf dem Bitterfelder Friedhof

Ich heiße Walter Scheinpflug, bin im 88. Lebensjahr und war Teilnehmer des 2.Weltkrieges. ... Der Weltfriedenstag soll ein Antikriegsgedenktag sein, an den Menschen, die keinen Krieg erlebt haben, sich diesem bewusst werden, welche Auswirkungen ein Krieg für Beteiligte und Betroffene hat und haben kann, um darüber eventuell zu der Einsicht zu gelangen, dass man etwas gegen den Krieg tun muss, ehe es zu spät ist. ...

 

 

Von Walter Scheinpflug, Autor

 

Ich heiße Walter Scheinpflug, bin im 88. Lebensjahr und war Teilnehmer des 2.Weltkrieges. Es ist mir eine Ehre, dass ich heute zum Weltfriedenstag eine Gedenkrede halten darf. Der Weltfriedenstag soll ein Antikriegsgedenktag sein, an den Menschen, die keinen Krieg erlebt haben, sich diesem bewusst werden, welche Auswirkungen ein Krieg für Beteiligte und Betroffene hat und haben kann, um darüber eventuell zu der Einsicht zu gelangen, dass man etwas gegen den Krieg tun muss, ehe es zu spät ist.

Vor 73 Jahren, am 1. September habe ich als l4-jähriger Junge die Rede Hitlers mehrmals gehört: ,,Ab heute 04.45 Uhr wird zurückgeschossen!" Eine Lüge. Die deutsche Wehrmacht hat das Feuer eröffnet. Infolge des Krieges verloren 60 Millionen Menschen ihr Leben. In Deutschland waren dies 6 Millionen Soldaten, von 18 Millionen eingezogenen. Also jeder Dritte kam nicht wieder nach Hause. 4,6 Millionen starben an der Front, der Rest (1,4 Millionen starben durch Racheakte der Sieger oder verhungerten in den Gefangenenlagern). Zivile Opfer in Deutschland gab es 9,4 Millionen, davon starben 6,5 Millionen nach dem Krieg durch Hunger, Vertreibung und Gewalttaten.

Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Es gab Millionen Menschen, die keinen Wind säten, aber trotzdem in den Sturm gerieten. Die Völker der Sowjetunion verloren ca. 27 Millionen Menschen, davon 11,4 Millionen Soldaten, 8,4 Millionen an der Front, 3 Millionen in der Gefangenschaft. Als Zivilisten starben 15,2 Millionen.

Das sind Zahlen,die man sich nur sehr schwer, wenn überhaupt, vorstellen kann. So höre ich von jüngeren Menschen zu diesem Thema öfter Folgendes: Das war sicher schlimm. Es ist aber sehr lange her. Wir haben heute andere Probleme, und die da oben machen sowieso, was sie wollen. Und eine Kriegsgefahr haben wir doch nicht.

Ich will jetzt etwas von mir sagen. Ich war im Alter von 18, 19 Jahren als Soldat im Krieg, 6 Monate davon an der Front. Ich wurde in Frankreich von Tieffliegern beschossen und lag am 16. April 45 an der Oder in einem 20-minütigen Trommelfeuer von ca. 1.000 Geschützen. Wir hatten in den Wochen vor diesem Trommelfeuer die Möglichkeit, die Anzahl der Geschütze beim Einschießen zu zählen. Unter solch einem Beschuss hilft kein Mut, keine gute Ausbildung, auch kein Beten an den lieben Gott. Dann hatte man einfach nur Glück, wenn man nur verwundet wurde oder unversehrt am Leben blieb.

Und es wurde noch schlimmer. Im Kessel von Halbe, auf der Landstraße von Halbe bis zur Autobahn sah ich rechts und links der Autobahn 20 000 Leichen liegen. Soldaten, Frauen, Kinder. Sie liegen jetzt gezählt auf dem Soldatenfriedhof in Halbe. Ich habe mich mit Leichen als Splitterschutz zugedeckt. Ich wurde verwundet. Als katholisch Getaufter und so erzogen,wurde mir immer wieder gesagt, Gott sieht alles, Gott hört alles, lenkt die Geschicke der Menschen. Alles, was auf Erden geschieht, geschieht nicht ohne den Willen Gottes. Nach meinen Erlebnissen damals kann ich nicht mehr an einen Gott glauben. Sollte es trotzdem einen geben, dann sicher keinen lieben. Und mit so einem will ich auch nichts zu tun haben.

Entschuldigen Sie bitte, ich will hier niemanden belehren oder bekehren, ich möchte Ihnen nur mitteilen, wie mich der Krieg geprägt hat. Ich schwor mir damals, in meinem Leben alles zu tun, dass es keinen Krieg mehr gibt. Deswegen stehe ich jetzt hier.

Wenn mir nun einer sagt, in Deutschland gibt es keine Kriegsgefahr mehr, dann habe ich folgende Antwort: Gewiss wurde mit der Gründung der Europäischen Union ein Klima geschaffen, das die Möglichkeit eines Krieges zwischen den europäischen Nationalstaaten weitestgehend ausschließt. Aber wie sieht es wirklich aus? Durch eine aggressive Außenpolitik der USA-Administration wurden im arabischen Raum zwei Kriege provoziert, einmal gegen den Iran, hierbei hat Gerhard Schröder das deutsche Volk herausgehalten, und dann gegen Afghanistan. Frau Merkel hatte den Mut von Gerhard Schröder nicht und schickte deutsche Soldaten in den Krieg. Dort sterben deutsche Männer, weil sie für die USA die Kastanien aus dem Feuer holen sollen. Zwei gestohlene Tanklastzüge werden im Schlamm festgefahren. Deutsche Soldaten befinden sich weit davon entfernt. Dorfbewohner und Kinder versuchen, sich Benzin abzuzapfen. Ein deutscher Oberst sieht darin eine Gefahr für seine Soldaten und lässt den Tanker in Brand schießen. Dabei sterben 140 Menschen.
Soll das kein Krieg sein?

Und was tun unsere Volksvertreter? Sie bestätigen immer wieder das Mandat, dass die Soldaten dort bleiben. Und Herr de Maiziere will die Bundeswehr so reformieren, dass sie schlagkräftig und schnell an allen Orten der Welt eingesetzt werden könnte. Zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika? Oder den im Hinterland operierenden Verbrecherbanden? Oder zum Schutze der Ölquellen der internationalen Ölkonzerne? Lassen wir uns überraschen.

Unser Bundespräsident Herr Gauck, von Beruf ein Gottesdiener, er hat sich die Freiheit und nichts als die Freiheit zum erstrebenswerten Symbol gewählt. Vor Offizieren der Bundeswehr hielt er kürzlich eine Rede. Über das 6. Gebot Gottes - Du sollst nicht töten! - kein Wort. Er drückte seine Hochachtung und sein Wohlwollen für die Einsatzbereitschaft und den Mut dafür aus, wie die deutschen Soldaten die Freiheit des deutschen Volkes in Afghanistan verteidigen. Die Wahrheit sieht anders aus.

Ein Hauptmann der Bundeswehr, der dort war, drückte das mir gegenüber so aus. 90 % der deutschen Soldaten verbergen sich hinter dicken Mauern, langweilen sich und getrauen sich nicht auf die Straße. Ich habe für eine solche Haltung Verständnis. Die anderen 10 % absolvieren Kontrollfahrten und sind immer heilfroh, wenn sie wieder gesund hinter den Mauern sind.

Was könnte man mit den Milliarden, die dort vergeudet werden, in Deutschland bewirken? Klammen Kommunen aus der Patsche helfen und eventuell manche Menschen daran hindern, dass sie sich und ihre Kinder töten, weil sie aus ihrer sozialen Situation keinen Ausweg sehen.

Der Bundestag beschloss vor einigen Tagen, dass der Einsatz der Bundeswehr mit Waffen im Inland möglich sei, dies aber nur in Ausnahmefällen. Wäre es ein Ausnahmefall, wenn die Arbeiter einmal nein sagen? 

Ich bin der Meinung, dass auf diese Probleme das Volk antworten muss. Wie es das
könnte, bewies Leipzig 1989. Wir sind das Volk! Durch falsche, später nicht eingehaltene Versprechungen und durch ein sogenanntes Begrüßungsgeld wurde dieser Bewegung der Schwung genommen und letztendlich beendet. Der staatlich sanktionierte Reibach für die Abzocker und die Reichen konnte beginnen.

Ich erkenne an, dass nach der Wende, im Osten Einiges entstand, was unter den Bedingungen der DDR nicht möglich gewesen wäre. Trotzdem, Deutschland ist ein sehr reiches Land. Aber im Land leben 3 Millionen Kinder in Armut oder an der Grenze zu dieser. Millionen Leiharbeiter erhalten für ihre Arbeit einen Lohn, der zum Leben nicht reicht. Die Regierung gibt hunderte Milliarden Euro aus, um Bankern, die sich verzockt haben, aus der Patsche zu helfen. Sie fordert sie aber nicht auf, den Schaden zu ersetzen und lässt sie wie bisher weiterarbeiten. Aber eine Werft, die mit guten Arbeitsaufträgen einen Überbrückungskredit benötigt, lässt man in die Insolvenz gehen. Für eine Hilfe ist der Verfügungsrahmen ausgeschöpft.

Die gewählten Politiker haben geschworen, dass sie ihre Kraft für das Wohl des deutschen Volkes einsetzen und es vor Schaden bewahren wollen. Nehmen wir sie beim Wort! Der Artikel 14.2 des Grundgesetzes gibt dazu die Möglichkeit. ,,Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Im Artikel 14.3 steht: Eine Enteignung zum Wohle des Volkes ist zulässig." Hierzu steht meiner Ansicht nach das Volk in der Pflicht. Es muss die Volksvertreter mit demokratischen Aktionen dazu zwingen, dass der Prozess - die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer mehr und ärmer - beendet wird und ein soziales Gleichgewicht hergestellt wird. Im Grundgesetz steht nicht, dass die Verhältnisse in Deutschland kapitalistisch sein müssen.

Mit Rücksicht auf unserer Kinder, Enkelkinder usw. sehe ich uns in der Pflicht, unser Wissen, unsere Erfahrungen, unsere Zeit dafür einzusetzen, um den Geschichtsfälschern, den Verleumdern, den Manipulierern und den Ausbeutern das Handwerk zu legen. Es ist noch nicht zu spät. Ich bitte Sie, bringen Sie sich in dieser Hinsicht ein. Dies sind wir auch den Opfern des Krieges schuldig. Letztendlich starben diese, weil eine Handvoll Superreiche mit Macht noch reicher werden wollten.

 

Nun bitte ich um eine Schweige- und Gedenkminute für die Opfer des Krieges.