Diskussionsthemen

HARTZ IV, Hausbesuche

Einschätzung zur Panorama-Sendung „Hausbesuche bei ALG-II-Empfängern“

Jürgen Keil, Artikel veröffentlicht im Blickpunkt 07 / 2008
(Ortsverband Bitterfeld-Wolfen-Umland des KV Anhalt-Bitterfeld)

In der ARD-Sendung „Panorama“ vom 5. Juni 2008 berichtete die Redaktion über unmittelbare Auswirkungen zu HARTZ IV. Die Reportage zeigte Hausbesuche bei ALG-II-Empfängern seitens der ARGEN (Jobcenter).

Der Arbeitslosenselbsthilfeverein des Landkreises Anhalt-Bitterfeld (siehe Bild) diskutierte am 12. Juni 2008 über die gezeigten Hausbesuche in der Sendung. Die Mitglieder des Vereins bewerteten die Übergriffe und die Verletzung der Gesetze. Besonders erschütternd war für alle, dass ein ARGE-Vertreter nicht davor zurückschreckte, sich Zutritt zur Wohnung von ALG-II-Betroffenen zu verschaffen, obwohl nur die minderjährige Tochter anwesend war. Mit seinem Auftreten schüchterte der Mann von der ARGE die Minderjährige ein. Er stellte Fangfragen an die Minderjährige, um von ihr zu erfahren, ob ihre Mutter mit einem Mann zusammen lebt. Die Verdächtigung der ARGE bestätigte sich nicht.

Auf Nachfrage der Reporter bei der ARGE, weshalb der Mitarbeiter einen Hausbesuch nur in Anwesenheit einer Minderjährigen durchführte, erwiderte die ARGE, dass ihr Mitarbeiter nicht wusste, dass das junge Mädchen minderjährig sei. Diese Aussage ist nach meiner Ansicht bei einer Behörde sehr unglaubhaft, die so viele Daten über die betroffenen Haushalte (Familien / Personen) sammelt.

Die Sendung zeigte weitere erschütternde Folgen von Spionage (Observation) und Hausbesuchen:

  • Eine Observation betraf eine Frau mit Kind. Ihre Wohnung beobachtete ein Mitarbeiter der ARGE drei Monate lang. Erst nach Aufdeckung dieses Skandals stellte die ARGE die Beobachtung ein. Die Betroffene, die seitens der ARGE die Auskunft erhielt, dass die Beobachtung der Behörde nichts kostet, da der Mitarbeiter dies vor und nach seiner Tätigkeit getan habe. Die Einschätzung der Betroffenen, dass dies kriminell sei, kann man nur unterstreichen.
  • Bei einem Hausbesuch der Wohnung einer Frau mit Sohn erdreisteten sich die Schnüffler der ARGE die  Schränke in der Wohnung eigenhändig zu durchwühlen. Selbst die private Wäsche war ihnen nicht heilig. 
  • Die  erschrockene Frau konnte sich zu den auf Unterstellungen beruhenden Verhalten kaum äußern.
    Ein Mann, der den überfallartigen Hausbesuch ablehnte, dem wurde der ALG-II-Bezug gestrichen. Die Streichung musste die ARGE nach der Einleitung rechtlicher Schritte zurücknehmen. Der von den Reportern befragte Rechtsanwalt erklärte, dass Betroffene nicht gezwungen werden dürfen, einem Hausbesuch zu zustimmen. Die von der ARGE angeführte Mitwirkungspflicht betrifft nicht die Zustimmung zu Hausbesuchen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist auch für HARTZ-IV-Betroffene garantiert, was auch von Vertretern der ARGE bestätigt wird.
    In der Praxis wird aber von der ARGE darauf keine Rücksicht genommen. Die Betroffenen, die einem Hausbesuch nicht zustimmen, denen wird oft unrechtmäßig das ALG II gestrichen.

 
In allen Fällen der Spionage und der Hausbesuche, die die ARD-Sendung zeigte, erwiesen sich die den Betroffenen vorgeworfenen Verdächtigungen und Unterstellungen als unrichtig.

Das Gespräch mit Gerhard Liebscher u. a. am 13. Juni 2008 im Regionalbüro Dessau bestätigte die Darstellungen im ARD-Bericht. Gerhard Liebscher betonte, dass es wichtig ist, in solchen Fällen rechtliche Schritte über einen Rechtsanwalt einzuleiten.

Die Reporter der Panorama-Sendung offenbarten mutig die Tatsache, welchem unmenschlichen Druck die Betroffenen ausgesetzt sind. Der Endkommentar der Sendung,

„arbeitslos – fast vogelfrei“,

charakterisiert den Zustand der Gesellschaft. Viele Menschen in unserer Gesellschaft wollen oder können die Gefahren, die in dieser Entwicklung liegen, nicht einschätzen. Wer der faktischen Rechtlosigkeit den viele ALG-II-Betroffene ausgesetzt sind, zustimmt bzw. sich nicht dagegen äußert, verkennt dabei, dass durch Akzeptanz dieses Faktes die demokratischen Rechte auch für andere gesellschaftliche Gruppen in Gefahr sind. Die Linken müssen sich einer solchen Entwicklung energisch entgegen stellen.

Die Gruppe „Gutzeit“ aus Hamburg tut dies mit ihrem Song „Hartz IV“. Im Refrain dieses Liedes heißt es

„Der Dreck muss weg“.