Täve und das Menschsein in der DDR

Von Manfred Wiesnewsky, Blickpunkt 12/2012;

Herzlichst Täve Schur, so steht es handsigniert auf der Hülle der DVD, die anlässlich seines 80. Geburtstages entstand und die man bei seinem Auftreten im Kulturhaus Wolfen am 9.Oktober dieses Jahres erwerben konnte. Herzlichst Täve Schur, dieser Gruß war spürbar bei jedem Satz, ... .

 

 

Von Manfred Wiesnewsky, Blickpunkt 12/2012

 

Herzlichst Täve Schur, so steht es handsigniert auf der Hülle der DVD, die anlässlich seines 80. Geburtstages entstand und die man bei seinem Auftreten im Kulturhaus Wolfen am 9. Oktober dieses Jahres erwerben konnte. Herzlichst Täve Schur, dieser Gruß war spürbar bei jedem Satz, den Täve an sein Publikum richtete. Der 9-malige DDR-Sportler des Jahres, mehrfacher DDR-Straßenmeister, DDR-Rundfahrt-Sieger, Studenten-Weltmeister, Amateur-Weltmeister, Friedensfahrt-Sieger, Medaillen-Gewinner bei Olympischen Spielen und Gewinner vieler anderer bedeutender Rennen hatte einen denkwürdigen Auftritt bei einer gemeinsamen Bildungsveranstaltung des RotFuchs-Fördervereins und der Partei DIE LINKE unserer Region. Es war nicht nur die Herzlichkeit und seine sprichwörtliche Bescheidenheit, die die anwesenden Genossen und Gäste anrührten und immer wieder zu Beifall veranlassten, sondern besonders die geradlinige Art und Weise, wie er seine politische und sportliche Lebensstrecke bis heute vorbildhaft meisterte. Täve, das Idol mehrerer Generationen in der DDR, als lebendiges Beispiel sozialistischen Menschseins in der Gegenüberstellung zu den Friede-Freude-Eierkuchen-Helden des kapitalistischen Fernsehbetriebes.

An diesem Nachmittag war die Vorführung einer von Heinz-Florian Oertel maßgeblich gestalteten DVD mit dem Titel „Täve 80 2011“ vorangegangen. Neben der Schilderung des Weges von Täve und seiner Erfolge erinnerte das Video eindringlich daran, mit welcher Begeisterung Massen von Menschen erfolgreiche Vorbilder wie Täve feierten. Welcher Gegensatz zu den Versuchen der Meinungsmacher dieser Bundesrepublik Deutschland, die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik zu delegitimieren! Welcher  Kontrast aber auch zur Situation in der DDR der, letzten Jahre ihres Bestehens.

In seinen Worten, die er wie ihm der Schnabel gewachsen war, teils mit tiefem Ernst, teils humorvoll überzeugend aneinanderreihte, schildert er dann verschiedene Etappen seines Lebens und seine Weltsicht. Er beginnt mit der Frage, wer denn unter den Anwesenden älter als er sei. Diesem Genossen dankt er als Vertreter aller Anwesenden, die ihm mit ihrer Arbeit in der DDR ermöglicht haben, zu dem Idol zu werden, das er auch heute noch für viele Menschen darstellt. Und er fügt an, dass es ihm auf seinem Wege schnell klar geworden sei, die Pflicht zu haben, sich zu schinden, sich aufzuopfern, um etwas an diese Menschen zurückzuzahlen, sie ordentlich in der Welt zu vertreten. Mit dem Sport konnten wir die Vorzüge unserer Gesellschaft darstellen. Und es war immer eine Sauschinderei für unsere Gesellschaft. Aus dieser Überzeugung nie einen Hehl zu machen, ein bescheidener, zurückhaltender, ganz normaler Mensch zu bleiben, hat Täve Schur so beliebt gemacht.

Er spricht über renntaktische Fragen am Beispiel der Weltmeisterschaft 1960 im Einzel auf dem Sachsenring. Damals hatte der Belgier Willy Vandenberghe wenige Kilometer vor dem Ziel 28 Sekunden Vorsprung vor Täve Schur und Bernhard Eckstein. Mit einer großartigen Leistung egalisierten beide DDR-Fahrer diesen Vorsprung, Täve hängte sich an das Hinterrad des Belgiers und „Ecke“ überholte diesen. Vandenberghe glaubte, dass Täve ein drittes Mal Weltmeister werden wolle und konzentrierte sich voll auf ihn. Als er merkte, dass seine Taktik nicht auf ging, war es zu spät, Bernhard Eckstein wurde Weltmeister, Täve wurde Zweiter, er war an diesem Tage wieder einmal über sich hinausgewachsen, hatte eine einmalige Meisterleistung vollbracht. So beliebt wie Täve bei den Menschen der DDR war und heute noch ist, so unbeliebt ist er bei den Machern der kapitalistischen Welt. Das zeigt sich auch am Beispiel „Hall of Fame“. Die von der Stiftung Deutsche Sporthilfe begründete sogenannte Ruhmeshalle des deutschen Sports soll ein bleibendes Forum für Persönlichkeiten schaffen, die durch Leistung, Fairplay und Miteinander - Vorbild geworden sind. Auch Täve wurde für seine Aufnahme vorgeschlagen, doch von der Jury im vorigen Jahr abgelehnt. Täve sieht das locker.

Dann redet er davon, dass ihn in den Städten viele Menschen freimütig mit „du“ ansprechen. Diesen Umstand hält er für einen Beweis dafür, dass man voller Vertrauen aufeinander zugehen kann, weil man so in unserer Gesellschaft geworden ist. „Da können die da drüben reden, was sie wollen“, sagt er.

Die Höhe seiner Rente, der Besitz eines Trabanten und eines kleinen Peugeots, seine vielen Radtouren (dadurch sei er noch so schlank), die vierjährige Mitarbeit in der Volkskammer der DDR, der ungeheure Druck auf linke Zeitungen, wie die „Junge Welt“ und das „Neue Deutschland“ sowie die notwendige Solidarität mit diesen Zeitungen sind weitere Themen dieses Nachmittags. Täve nennt ein Lebensmotto, das wir alle beherzigen sollten: „Man bewegt sich nicht, weil man alt ist, sondern man wird alt, weil man sich nicht bewegt“. Mit diesem Motto ist er sogar in einem Buch des Coppenrath-Verlages verewigt.

Eindringlich verurteilt Täve das Verschweigen der Verbrechen des Kapitalismus in Vergangenheit und Gegenwart, das Zudecken der Gründe und Zusammenhänge für Kriege und den Hunger in der Welt, die Verdummung des Volkes durch die Medien, die Verhinderung von Wahrheiten. Er zeigt eine kleine Broschüre von Jean Ziegler, einst Fahrer von Che Guevara, jetzt Beauftragter der UNO in Fragen der Welthungerhilfe, mit dem Titel „Der Aufstand des Gewissens. Die nicht gehaltene Festspielrede 2011.“ Es betrifft die Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele. Diese Rede beginnt mit den Worten: „Sehr geehrte Damen und Herren, alle 5 Sekunden verhungert ein Kind unter 10 Jahren, 37.000 Menschen verhungern jeden Tag und fast eine Milliarde sind schwerstens unterernährt.“ Selbstverständlich hat man ihn nicht reden lassen, dafür ist Joachim Gauck eingesprungen.

Eine packende Veranstaltung ist beendet. Täve bleibt unser Sympathieträger.

 

 

Die  Broschüre von Jean Ziegler  ist beim Ecowin-Verlag Salzburg zu erhalten.

 

Der  Inhalt der Rede von Jean Ziegler  „Der Aufstand des Gewissens. Die nicht gehaltene Festspielrede 2011“ kann im Internet unter www.sueddeutsche.de/kultur/  abgerufen werden.